Managementansatz „Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK) light“? –
Zehn Fragen und neun Argumente, die für die Weiterentwicklung des DNK sprechen
Werkstattgespräch am 29. März 2022 im Rahmen der AG Geschäftsmodell des Sustainable Finance Testlabs
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) hat sich in der Praxis sowohl zur Reflexion und Nachhaltigkeitsberichterstattung als auch als Instrument zur Entwicklung eines Nachhaltigkeitsmanagements etabliert. Die ImpulsgeberInnen des Werkstattgesprächs gehen der Fragestellung nach, inwieweit eine ggf. ‘leanere Variante’ des DNK für StartUps (und ggf. auch kleinere Unternehmen) sinnvoll wäre.
Was ist der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK)?
Der Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK) wurde entwickelt im Auftrag des Deutschen Nachhaltigkeitsrats (DNR), einem seit 2001 bestehenden, im Kanzleramt angesiedelten Stakeholdergremium der Bundesregierung, bestehend aus 15 Personen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, die für jeweils drei Jahre dazu berufen sind:
- die Bundesregierung in Nachhaltigkeitsfragen zur Nachhaltigkeitsstrategie zu beraten
- den Dialog zur nachhaltigen Entwicklung zu fördern
- konkrete Aktionsfelder zu benennen und Nachhaltigkeitsprojekte zu fördern.
Eines der Werkzeuge des DNR ist der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK). Der DNK:
- ist ein Transparenzstandard zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und Offenlegung der Managementstruktur
- wurde 2010 im Rahmen eines Multi-Stakeholder-Dialogs entwickelt,
- ist für alle Unternehmensformen und -größen geeignet,
- besteht aus einer Checkliste von 20 Fragen, die sich auf existierende Leistungsindikatoren (GRI, SRS EFFAS) beziehen,
- ist anschlussfähig an etablierte Standards (wie Global Compact, SDGs, EMAS, ILO),
- deckt alle Dimensionen (Ökologie, Soziales, Ökonomie) der Nachhaltigkeit ab,
- dient als Instrument zur Reflexion der eigenen unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistung und zur strategischen Weiterentwicklung, ist damit zugleich Berichterstattungs- und Managementinstrument.
Welche Erkenntnisse haben Unternehmen, wenn sie mit dem DNK arbeiten?
Anke Trischler: Sobald Unternehmen die Hürde überwunden haben, sich mit dem DNK zu beschäftigen, ist in der Regel die Erkenntnis, dass sie bereits viel früher damit hätten beginnen sollen – und das zieht sich durch alle Unternehmensformen, -branchen und -größen hinweg. Insofern gibt es kein zu groß, zu klein oder zu früh, sondern lediglich ein zu spät.
Doch diese Hürde muss erst einmal überwunden werden, und das ist mit dem Prozess zu verbunden, in einer Bestandsaufzunahme anzuerkennen, dass bereits schon ganz viel da ist. Hier kann ein modularer Aufbau sehr helfen, einen Einstieg zu finden. Außerdem darf ganz klar das Verständnis vermittelt werden, dass diese Bestandsaufnahme eine Art Vorsorgepaket für die eigene Existenz ist, das die Zukunftsfähigkeit sichert. Denn in Zukunft werden Unternehmen gefragt sein, ihre Lieferanten- und Wertschöpfungsketten zu dokumentieren, also Lieferanten-Richtlinien zu erfüllen.
Wichtig wäre auch klarzustellen, dass es im Grunde nicht um eine vergangenheitsbezogene Dokumentation geht, sondern um die Erhebung eines Status quo, aus dem hervorgeht, wie bspw. Ressourcenverwendung zukünftig effizienter gestaltet werden kann und weiteres mehr.
Gleiches gilt auch für StartUps. Zusätzlich dazu, dass ihnen das DNK-Reporting ermöglicht, Lieferanten-Richtlinien zu erfüllen und größere Kunden zu gewinnen, verschafft es ihnen Sichtbarkeit und die Möglichkeit, vielfältige Stakeholder von ihrer Zukunftsfähigkeit zu überzeugen.
Es bräuchte eine Art Leitfaden oder Kompass für GründerInnen. Es gibt derzeit zwar vereinzelte Informationen, die man sich aber zusammensuchen muss; gebündelte Informationspakete gibt es nicht. So wird eine nachhaltige Gründung erschwert.
Selina Türck, RKW Hessen GmbH
Über welche Medien und Infrastrukturen verfügen GründerInnen, wenn sie ihr Unternehmen von Beginn an nachhaltig starten wollen?
Selina Türck: Das gestaltet sich relativ schwierig. In meiner Masterarbeit zur nachhaltigen Unternehmensgründung habe ich sowohl Gründungsinteressierte als auch GründerInnen sowie ExpertInnen aus dem Bereich Nachhaltigkeit und Gründung befragt. Das Ergebnis: Es gibt einen sehr starken Bedarf. Es bräuchte eine Art Leitfaden oder Kompass für GründerInnen. Es gibt derzeit zwar vereinzelte Informationen, die man sich aber zusammensuchen muss; gebündelte Informationspakete gibt es nicht. So wird eine nachhaltige Gründung erschwert. Der Kompass sollte allerdings nicht statisch beschaffen sein, sondern modular, abhängig von der Branche und der spezifischen Problemstellung. Mein Eindruck ist, dass hier die Hürden noch zu groß sind und sich viele GründerInnen daher nicht mit nachhaltiger Gründung beschäftigen.
Für StartUps bietet sich mit dem DNK die Chance, ihn von Beginn an als nachhaltigen Managementansatz zu nutzen, mit dem ich auch meinen sozialen und ökologischen Output sichtbar machen, bewerten und damit argumentieren kann.
Heiko Rittweger, B.A.U.M. e.V.
Braucht es einen „DNK light“, eine abgespeckte Version des DNK?
Heiko Rittweger: Nein, ich glaube, das braucht es eigentlich nicht. Vielmehr müssen wir vermitteln, dass das DNK-Reporting keine wissenschaftliche Arbeit ist, sondern eine Selbsterklärung und ein Gestaltungstool, ein Steuerungsinstrument, das dem Management hilft, meine Prozesse besser aufzusetzen, das Unternehmen auch in Nachhaltigkeits- und Transformationsaspekten zu steuern und ist Argumentationshilfe gegenüber der Finanzwelt um die Transformationsfähigkeit und den Transformationsstand eines Geschäftsmodells zu erkennen.
Für StartUps bietet sich mit dem DNK die Chance, ihn von Beginn an als nachhaltigen Managementansatz zu nutzen, mit dem ich auch meinen sozialen und ökologischen Output sichtbar machen, bewerten und damit argumentieren kann.
Welches sind die Painpoints, die größte Schmerzpunkte, die Unternehmen daran hindern, sich mit nachhaltigen Managementansätzen wie dem DNK zu beschäftigen?
Anke Trischler: Über alle Branchen, Unternehmensformen und Unternehmensgrößen hinweg ist der größte Schmerzpunkt, sich mit etwas beschäftigen zu müssen, das auf den ersten Blick nichts mit dem Kerngeschäft zu tun hat. Sehr schnell kommen aber in der Regel Aha-Erlebnisse, die zur Erkenntnis führen, dass dies ja dem Kerngeschäft durchaus etwas bringt, bis hin zu Kostenersparnissen.
Bei kleinen Unternehmen, wo buchstäblich alles Chefsache ist – und im Grunde ist das ja auch bei StartUps der Fall – kommt noch als Schmerz hinzu, dass die Chefs das Gefühl haben, sich jetzt auch noch um dieses Thema kümmern zu müssen. Hier würde ein modularer Aufbau sehr helfen; das muss in verdauliche Häppchen gepackt werden.
Dann kommt in einem zweiten Schritt die Frage, woher die ganzen Informationen effizient und schnell zu beschaffen sind. Bei größeren Unternehmen ist die Herausforderung, dann 20-40 Menschen an einen Tisch zu bringen.
Am Ende ist immer eine große Erleichterung, dass dieses Reporting ja gar nicht jährlich erfolgen muss, sondern an eigene Prozesse und Unternehmenszyklen angepasst werden kann. Was hier sehr helfen würde, wäre, das Thema aus der Bürokratieecke, in die es gedrängt wird, herauszuholen.
Sind auch die weiteren Dimensionen der Nachhaltigkeit im Management und Reporting angekommen?
Florian Harrlandt: Zunächst einmal ist festzuhalten: Einer Studie des RNE zufolge, bewegt sich der Anteil der Unternehmen, die sich intrinsisch und kontinuierlich in ganzheitlicher Weise in einem Managementansatz mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, im Promillebereich. Der Hauptfokus der Unternehmen liegt vornehmlich noch auf dem Thema „Klimafreundlichkeit“ und „Dekarbonisierung“. Das nächste Level ist dann das Thema Biodiversität.
In sozialen Themen haben Unternehmen zumeist ein gutes Grundgefühl, ein gewisses Grundrauschen ist angelegt – bspw. wenn es um die Themen Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Weiterbildung und Employer Branding geht. In Bezug auf das Thema „Nachhaltige Lieferantenkette“ ist noch nahezu keine Sensibilität vorhanden.
Selina Türck: Bei Unternehmensgründungen kann ich dies bestätigen. Auch hier ist der Fokus vornehmlich auf CO2-Reduktion. Nachhaltigkeit wird in erster Linie mit ökologischem Fokus betrachtet. Ob hier auch die ökonomische, soziale oder auch kulturelle Dimension hinzukommen, hängt sehr mit der intrinsischen Motivation zusammen.
Nachhaltigkeitsberichterstattung muss, wie auch die Steuererklärung, zum 1×1 der Unternehmensführung werden.
Florian Harrlandt:, Rat für Nachhaltige Entwicklung
Der DNK – eine Art zweiter Steuererklärung?
Florian Harrlandt: Nachhaltigkeitsberichterstattung muss, wie auch die Steuererklärung, zum 1×1 der Unternehmensführung werden. Eine Steuererklärung kann zwar aufwendig sein, aber jedes Unternehmen erkennt ihren Benefit, bspw. weil sie Einsparungen mit sich bringt.
Braucht es Role Models, um die Motivation für den DNK zu wecken?
Heiko Rittweger: Ich bin mir nicht sicher, ob das hilfreich ist, denn oftmals sind Nachhaltigkeits-Pioniere organisatorisch komplett anders aufgestellt als klassische Unternehmen. Pioniere haben bspw. oftmals keinen Nachhaltigkeitsmanager mehr. Der Einkauf ist bereits nachhaltig implementiert, so dass es hier keine zweite Person braucht, die sie berät, wie das nachhaltig aufzusetzen wäre. Wir dürfen uns eher Gedanken darüber machen, wie wir die Transformation dieser Unternehmen gestalten können, und welche Transformationsbrücken es braucht.
Insofern wäre es für zukünftige StartUps super, wenn diese Transformation gar nicht mehr benötigen, sondern von vornherein auf einen nachhaltigen Managementansatz ausgerichtet sind.
Der DNK braucht zukunftsgemäße, niederschwellige und leicht zugängliche Formate, mit denen es Freude macht, zu arbeiten. Ich stelle mir eine App vor. Das hat auch den Vorteil, dass verschiedene Bereiche interdisziplinär und gleichzeitig am Reporting arbeiten können, hier ist auch eine modulare Anlage möglich. Deswegen gefällt mir der Ansatz eines DNK ‘light’ auch so gut.
Anke Trischler, Transformation zur Nachhaltigkeit GmbH
Was braucht es, um die Motivation zu erhöhen, bspw. den DNK einzusetzen?
Anke Trischler: Zum einen sollten in der Lehre statt der klassischen Managementansätze die Nachhaltigkeitsmanagementansätze wie der DNK vermittelt werden, weil sie einzigen Formen sind, wie zukünftig Unternehmen geführt werden können.
Zum anderen braucht der DNK zukunftsgemäße, niederschwellige und leicht zugängliche Formate, mit denen es Freude macht zu arbeiten. Keiner blättert 170 Seiten mühselig durch. Ich stelle mir eine App vor. Das hat auch den Vorteil, dass verschiedene Bereiche interdisziplinär und gleichzeitig am Reporting arbeiten können, hier ist auch eine modulare Anlage möglich. Deswegen gefällt mir der Ansatz eines DNK ‘light’ auch so gut.
Wo stehen wir in fünf Jahren in punkto nachhaltige Managementansätze?
Anke Trischler: In fünf Jahren nutzen die 15.000 Unternehmen, die ab dem 01.01.2024 ohnehin reporten müssen, den DNK oder ähnliche Management- und Reportingsysteme. Rund die Hälfte davon ist zu MultiplikatorInnen geworden. Wir brauchen ein exponentielles Wachstum in diesem Segment; ich muss diese Unternehmen nicht alle selbst begleitet haben.
Florian Harrlandt: Auch Handwerksbetriebe nutzen bereits heute den DNK zur Berichterstattung, was seit 2021 mit einem Tool zur Übersetzung in die ‘Sprache des Handwerks’ noch einfacher geht. Meine Vision für in fünf Jahren ist, dass neben den o.g. 15.000 Unternehmen auch mindestens 5.000 kleinere, bspw. Handwerksbetriebe das Thema Nachhaltigkeitsmanagement in seiner holistischen Dimension entdeckt haben und den DNK anwenden.
Selina Türck: Gründungsinteressierte sind informiert um die Vorgehensweise einer nachhaltigen Gründung. Es gibt klare Anlaufstellen. Nachhaltig zu gründen, darf nicht schwieriger sein als klassisch zu gründen.
Heiko Rittweger: Die Hälfte der InvestorInnen hat die Genialität des Steuerungsmechanismus bspw. des DNK erkannt und nutzt die Ergebnisse der Reportings für Investitionsentscheidung, weil sie dabei sowohl unterstützen, Risiko zu minimieren als auch das Invest zu sichern.
Transfer & Management-Summary:
Neun Argumente, die für die Entwicklung eines DNK ‘light’ sprechen
- Die Begleitung vieler Unternehmen bei der Arbeit mit dem DNK zeigt: Er ist ein wertvolles Instrument, das nicht früh genug zur Anwendung kommen kann.
- In Zeiten der Transformation ist die Arbeit mit dem DNK oder ähnlicher Managementansätze unabdingbar für die Existenzsicherung und Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.
- Für GründerInnen und StartUps gibt es bisher keinen geeigneten Leitfaden, der sie bei der Entwicklung eines nachhaltigen Unternehmens begleitet. Diese Lücke muss geschlossen werden, angesichts dessen, dass sich Unternehmen in den kommenden Jahren ohnehin zu nachhaltigen Unternehmen transformieren werden.
- Die Hürde zur Arbeit mit dem DNK ist zunächst hoch. Der DNK scheint zu komplex und aufwendig.
- Abwehrende Narrative wie „DNK ist aufwendig.“ sind oft zu hören. Hier könnte eine Kommunikationskampagne (Testimonials) Berührungsängste abbauen.
- Ein modularer Aufbau kann den Einstieg mit dem DNK erleichtern.
- Niederschwellige, zukunftsgemäße und leicht zugängliche Formate (bspw. eine App) könnten die Arbeit mit dem DNK sowie das Co-Working einzelner Unternehmensbereiche erleichtern.
- Die Lehre zu Managementansätzen darf sich transformieren. Statt klassischer Managementansätze sollten Nachhaltigkeitsmanagement-Ansätze vermittelt werden.
- Angesichts der Erfordernis, dass ab dem 01.01.2024 die Nachhaltigkeits-Berichterstattungspflicht sich auf weitere Unternehmen ausdehnt und bisher laut einer RNE-Studie, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen nur gering ausgeprägt ist, bedarf es eines attraktiven DNK-Updates samt einer ansprechenden Kommunikationskampagne.
ImpulsgeberInnen:
- Anke Trischler, Transformation zur Nachhaltigkeit GmbH
- Florian Harrlandt, Rat für Nachhaltige Entwicklung
- Heiko Rittweger, B.A.U.M. e.V.
- Selina Türck, RKW Hessen GmbH
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