Leipzig, 29. März 2022 – Im Rahmen des 3. Leipziger Finanzforums
Panelgäste:
Claudia Gersdorf, PolaR BEAR Positive Relations GmbH
Maike Kauffmann, Purpose Stiftung gGmbH
Jan Köpper, GLS Gemeinschaftsbank eG
Dr. Tim Thabe, Creditshelf AG
Moderation: Anja Müller, Handelsblatt
„Für jede Phase im Lebenszyklus eines Unternehmens gibt es die richtige Finanzierung“
Dr. Tim Thabe, Creditshelf AG
… war vor der Gründung von creditshelf bei Goldman Sachs in London als Credit Risk Officer und Rating Advisor sowie bei der UBS in Zürich in verschiedenen Positionen im Kreditsektor tätig. Er verfügt über mehr als zehn Jahre Kreditrisikoerfahrung. Über die digitale creditshelf Plattform erhalten mittelständische Unternehmen die Freiheit, bankunabhängig, schnell und unkompliziert eine Finanzierung zu erhalten. Herzstück ist dabei eine datengestützte Risikoanalyse.
„Mit unserer Creditshelf Plattform ermöglichen wir eine alternative Mittelstandsfinanzierung über das hinaus, was bisher üblich ist und schließen damit die Lücke zwischen Banken und Private-Equity. Unsere Plattform ermöglicht mit Hilfe von Technologie eine zukunftsweisende und tiefere Analyse. Unsere InvestorInnen sind mit mehr Risikoappetit unterwegs, daher sind ihre Konditionen in der Regel auch ein wenig teurer als herkömmliche Kreditkonditionen, aber das ist auch angemessen angesichts des höheren Risikos.“
Welches sind die wichtigsten Learnings aus diesem Geschäft?
„Es ist die Erkenntnis, dass es im Lebenszyklus eines Unternehmens stets zur richtigen Zeit den richtigen Geldgeber gibt. Zu Beginn wird das in der Regel keine Bank sein, sondern die drei F: Friends, Family und Fools. Dann kommen Venture Capital und InvestorInnen, und irgendwann wird das Unternehmen fremdkapitalfähig. Das ist eine Frage der Entwicklungsstufe. In frühen StartUp-Phasen sollte ein Unternehmen nicht zu viel von Banken erwarten.“
Welche Kunden kommen zu Creditshelf?
Es gibt zwar nicht den Kunden, aber im Durchschnitt sind unsere Kunden rund fünfzehn Jahre im Geschäft, obwohl das Unternehmensalter schon zwischen 3-100 Jahre variiert. Unsere Kunden eint, dass das Unternehmen zusätzlichen Kreditbedarf hat, der im Bankgeschäft nicht bedient werden kann. Wir unterstützen gerne mit ungesicherten Geschäften, weil das mit einer richtigen Analyse auch machbar ist. Natürlich ist dieser Weg teurer als eine Finanzierung bei einer Bank, weil das Risiko höher ist. Aber dafür sind wir in die Lage, die Kapitalstruktur bei Unternehmen aufzustocken. Auch bei schnell wachsenden jungen Unternehmen, bevor sie profitabel sind, können wir unterstützen, wenn wir durch unsere Prognosen ermitteln können, dass sie profitabel werden. Sobald unsere Kunden dann bankfähig werden, sind wir wieder „draußen“, denn die Konditionen der Banken sind dann im besicherten Bereich natürlich deutlich attraktiver für die Unternehmen.
Seid Ihr denn überhaupt mit Euren KundInnen in direktem Austausch?
Ja, natürlich. Jeder Kunde, der eine Kreditanfrage stellt, bekommt eine Rückmeldung von uns. Zu den letzten rund 30 Prozent, die unseren Funnelprozess erfolgreich durchlaufen und die größten Erfolgschancen haben, haben wir intensiven persönlichen Kontakt, und mit ihnen führen wir dann auch Interviews. Wir machen uns am Ende immer ein persönliches Bild.
Spielt die EU-Taxonomie für Euch bereits eine Rolle? Ist sie Last oder Chance?
Wir sind derzeit damit noch am Experimentieren, wie wir dieses Thema für die UnternehmerInnen effizient handhaben können und haben einige Fragen in unseren Prozess integriert. Unsere InvestorInnen beginnen sich ebenfalls für diese Thematik zu interessieren. Wir sehen darin eine Chance. Noch gibt es diesbezüglich für unser Kundensegment keine festen Standards, aber indem wir uns jetzt in dieser frühen Phase damit auseinandersetzen, können wir genau solche Standards etablieren. Wir diskutieren derzeit dazu und überlegen uns Lösungsansätze, die sowohl für den KMU-Kreditnehmer als auch die Investoren den größten Mehrwert bieten.
Wie sehr beziehen Eure KundInnen bereits das Thema Nachhaltigkeit ein?
Ich würde sagen, es gibt derzeit keinen Kunden, der noch nicht über das Thema Nachhaltigkeit nachgedacht hätte. Einige der StartUps sind bereits mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell gegründet worden. Ich übersetze Nachhaltigkeit auch als Zukunftsfähigkeit. Damit ein Unternehmen auch in 20 Jahren noch Relevanz haben kann, muss es sich in punkto Nachhaltigkeit aufstellen. Allerdings wird diese Nachhaltigkeit nur funktionieren, wenn sie auch ökonomisch funktioniert. Wenn allerdings etwas nicht zukunftsfähig ist und damit auch bestimmten Nachhaltigkeitskriterien nicht standhalten kann, die als zukünftig gelten, dann werden wir es nicht finanzieren. Genauso blicken wir auch auf Geschäftsmodelle, die derzeit nicht profitabel sind, es aber perspektivisch werden. Als weitere Herausforderung sehe ich: Auch die Transformation an sich muss finanziert werden. Hier braucht es nochmal neue Investoren-Mixes, um Matches zu generieren.
Weiterführendes:
* www.creditshelf.com
„Statt in Spenden sollten Unternehmen in Social and Sustainable Investments denken.“
Claudia Gersdorf, PolaR BEAR Positive Relations GmbH
.. neben weiteren Tätigkeiten für u.a. Ärzte ohne Grenzen, Oxfam und Pen Paper Peace ist sie vor allem für ihr Wirken als Pressesprecherin/CCO beim internationalen Vereins- und Social Business Netzwerk Viva con Agua bekannt geworden. Die Bewegung wurde für ihr soziales Engagement mehrfach ausgezeichnet, erhielt u.a. den Next Economy Award des Deutschen Nachhaltigkeitspreises und den ECHO. Mit diesen Erfahrungen im Rückgrat gründete Ende 2021 Claudia Gersdorf ihre Unternehmensberatung PolaR BEAR Positive Relations GmbH. Sie begleitet Unternehmen dabei, ihre „Nachhaltigkeitsidentität“, wie sie sagt, „zu finden“, in Social Investments zu denken, und sich für gesellschaftliches Engagement identitätsstiftend und gewinnbringend für alle zu entscheiden.
So transformiert sie Public in Positive Relations: öffentlichkeitswirksame Kommunikation bei vorangegangenem gesellschaftlichen Engagement mittels Kampagnen.
„Menschen lieben es, zu positiven Veränderungen in der Welt beizutragen. Diese Grundbereitschaft zu helfen, lässt sich in der aktuellen Solidaritätswelle während des Ukrainekrieges sehr gut beobachten. Doch Spenden, wie sie für die Menschen in der Ukraine getätigt werden, ändern nicht das System. Deswegen sollten Unternehmen nicht in Spenden, sondern in Investments denken – und zwar nicht nur wegen des Returns on Investment, sondern auch weil sie dann zielgerichteter agieren.
Eine Spende ist bekanntermaßen eine mildtätige Gabe ohne einen Anspruch auf Gegenleistung, doch genau diese ist ebenso Teil der Interessen von spendenden Unternehmen: Möglich Absichten können sein, den Imagegewinn zu erhöhen oder MitarbeiterInnen zu motivieren. Alles berechtigt! Daher: Warum nicht gleich investieren in Strukturen, Perspektiven, Veränderung – und somit viel mehr bewirken, den Impact aus diversen Levels erhöhen? Auf meinen vielen Reisen in der ganzen Welt konnte ich beobachten, dass weltweit vielfältige inspirierende StartUp-Kulturen existieren – auch in sog. Schwellen- und Entwicklungsländern.
Durch ein Social Investment können in der Regel viel mehr Menschen und Unternehmungen empowered und aufgrund dessen, dass sich ein tragfähiges Businessmodell entwickelt, langfristig in selbstwirksame Beschäftigung gebracht werden.
Öffnet das nicht Greenwashing Tür und Tor?
Das werde ich immer wieder gefragt. Doch das Coole ist: Wenn ein Unternehmen sich dazu entscheidet, zu investieren, dann kann ich mir fast schon sicher sein, dass es sich nicht um Greenwashing handelt. Denn damit beginnt ein Unternehmen unternehmerisch verantwortungsvoll zu handeln und entsprechend zielgerichtet zu kommunizieren. Anders verhält es sich, wenn das Unternehmen mit einem Spendenbudget operiert. Daher plädiere ich dafür, dass die Spendenbudgets umgeshiftet werden und daraus Investments entstehen, dass das Engagement in allen Bereichen der Nachhaltigkeit (z.B. Bildung, Vitalität und Gesundheit, Klima, Frieden, Wasserversorgung) zur ChefInnen-Sache gemacht wird. Ich plädiere für einen Chief Purpose Officer neben dem Chief Executive Officer und der weiteren Führungspersönlichkeiten (CMO, CVO, CCO, CTO usw.) und die ‚Befreiung‘ von Purpose, CSR, Nachhaltigkeit aus dem Bereich Marketing und Kommunikation. Corporate Social Reponsibility und Social Investing sind keine Nebenschauplätze, sondern identitäts- und sinnstiftend, essentiell für den Markenkern, die Markenliebe und Authentizität.
Welche Beispiele von Impact InvestorInnen gibt es?
Da gibt es immer mehr wie etwa: Bela B, Chris Vartan, Gerrit und Frederik Braun, Kevin Kuranyi, Dorothea Sick-Thies, Amir Roughani, Claas Helmke (Gründer und Vorstand von GermanZero) und viele mehr. Sie fungieren als Impact Entrepreneure und InvestorInnen. Langsam ersetzt der Begriff „Impact“ den Begriff „Nachhaltigkeit“. Das Coole ist, dass diese UnternehmerInnen ganz klare Kriterien haben, in welche Firmen sie investieren. In punkto Mitsprache sind viele sehr liberal. Ich glaube, wenn jemand auf Konzernlevel unterwegs ist, dann ist diese Person auch ein Ermöglicher, eine Ermöglicherin, und will Empowerment geben, sich da nicht über Gebühr reinhängen, nicht nur diktieren, sondern auch viel lernen. Impact-InvestorInnen sind wissbegierig und neugierig.
An welchen Nachhaltigkeitskriterien orientieren sich diese Vorzeige-Investor:innen?
Natürlich an den gängigen Standards wie den SDGs oder auch der EU-Taxonomie. Hierbei wird Individualität gelebt. Auch das Thema Social Return on Investment spielt eine Rolle, d.h. es wird nicht nur in klassischer Gewinnorientierung gedacht.
Einige dieser InvestorInnen wollen die Themen sogar richtig groß machen, am liebsten damit gleich an die Börse und in Nachhaltigkeitsfonds, um auf das Thema aufmerksam zu machen, und so mehr für positiven Wandel weltweit und eine gerechtere Gesellschaft herausholen.
Allerdings streben auch – das extreme Gegenbeispiel für Social Entrepreneurs – Rüstungsfirmen in Nachhaltigkeitsfonds und beginnen, die EU-Taxonomie als Schlupflöcher zu nutzen. Für die Rüstungsindustrie hat zum Beispiel gerade die Citibank eine Tür aufgemacht. Hier braucht es unbedingt schärfere Kriterien, Richtlinien, Prinzipien. Quasi eine Social Investment und Social Business Charta.
Was Nachhaltigkeitskriterien anbelangt, so sollten sie meiner Ansicht nach vor allem praxisrelevant und praxistauglich sein sowie ergebnisorientiert und Ergebnisse produzierend. Impact-InvestorInnen sind da sehr kreativ, haben Lösungsmodelle wie klare Bedingungen gestellt, Sanktionen gesetzt oder auch ein Ampelmodell entwickelt werden kann. Sie sind an vielen Stellenb weiter als die Politik und scharren mit den Hufen, mehr Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsprozesse integrieren zu dürfen – schon rein von der Gesetzgebung her. So ist es kein Wunder, dass immer mehr Zusammenschlüsse von Unternehmer:innen wie GermanZero, Entrepreneurs for Future, Unternehmen Klimaschutz und weitere entstehen. Die Liste wird immer länger. Die Politik muss endlich liefern, oder die PraktikerInnen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Industrie übernehmen gleich offiziell das Steuer.
Weiterführendes:
* Entrepreneurs for Future
* GermanZero
* PolaR BEAR Positive Relations (Unternehmensberatung von Claudia Gersdorf)
* Unternehmen Klimaschutz
* Artikel im Capital-Magazin um Bestreben der Rüstungsindustrie, ESG-konform werden zu wollen
„Wir suchen nicht die neue Finanzierungsform, wir suchen die nächste Innovation, das neue Windrad.“
Jan Köpper, GLS Gemeinschaftsbank eG
… leitet gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Laura Mervelskemper die Stabsstelle Wirkungstransparenz und Nachhaltigkeit.
„In einem Team von rund 20 Menschen gehen wir dem Ursprungsauftrag nach, die gesellschaftliche Wirkung der GLS Bank darzustellen, zu diskutieren, zu hinterfragen und in die Steuerung zu übertragen. Zudem gewinnen die Themen Nachhaltigkeitsmanagement, Nachhaltigkeitsberichterstattung und Nachhaltigkeitsrisiken immer mehr an Relevanz. Wir möchten herausfinden: Wo sind die Hebel des Wandels, die wir als GLS Bank bedienen können und wollen? Dazu arbeiten wir mit Zukunftsbildern und Narrativen des Wandels und fragen uns, wie wir das erreichen können, was wir wollen. Wir suchen die Innovation, das neue Windrad, den Gamechanger. Das ausfindig zu machen, ist oft gar nicht so leicht.
In unseren Finanzierungsmöglichkeiten sind wir dabei mit unserem Bankgeschäft zum Teil aufsichtlich eingeschränkt, aber wir können auch über die Treuhand, mit unserer Stiftung, wie auch mit unserer Crowd arbeiten und haben damit erweiterte Möglichkeiten, für den sozial-ökologischen Wandel Risiken einzugehen.“
Welche innovativen Finanzierungen hat denn die GLS Bank getätigt?
Wir haben eines der ersten Windräder in Deutschland finanziert, setzen immer wieder Maßstäbe bei Wohnprojekten, haben zahlreiche innovative Bildungseinrichtungen begleiten dürfen und auch immer wieder Dinge ausprobiert, bei denen wir von der Überzeugung der Partner beeindruckt waren und helfen wollten. Es gibt aber eine berühmte Geschichte, die in unserem Haus kursiert: AktivistInnen besetzten in einer der Ruhrpottstädte ein Haus. Um die drohende Räumung abzuwenden und einen Finanzierungslösung herbeizuführen, stiegen unsere Vorstände über eine Leiter im Hinterhof ins Haus, um mit den Hausbesetzern zu sprechen. In der Tat wurde eine Lösung gefunden, gar nicht über eine Bankenfinanzierung, sondern über Spenden. Heute ist im ehemals besetzten Haus ein Kulturzentrum beheimatet.
Andere Beispiele: Wir sind unter anderem in Sustainabill investiert, die Lieferkettenanalysen anbietet, um Transparenz herzustellen zu den verschiedenen Schichten von Lieferketten und sie auch sozial-ökologisch bewerten zu können. Denn da sehen wir noch einen großen Mangel am Markt. Dabei unterstützen wir Sustainabill nicht nur mit Geldern, wir sind auch Partner im Geiste. Neben uns erfährt Sustainabill auch Unterstützung von Business Angels, die das StartUp bei der Skalierung und Herstellung von Wirtschaftlichkeit unterstützen. Uns ist dabei wichtig, Unternehmen auch durch schwierige Phasen zu begleiten und auch mal gemeinsam Täler zu durchschreiten. Darüber hinaus haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr ein Joint Venture zur Messung, Bewertung und Integration von Nachhaltigkeitsrisiken gegründet, um ambitionierte und qualitativ hochwertige Lösungen in diesem Bereich für den Markt anbieten zu können und zugleich selbst die Integration im Haus zu stärken. Ferner sind wir an ‚right.based on science‘ beteiligt und weiteren innovativen Organisationen. Alles transparent einsehbar auf unserer Website.
Dabei sind neben Beurteilungen hinsichtlich Tragfähigkeit auch die menschliche Komponente und Haltungen wichtig. Einer unserer Gründer hat immer gesagt: „Kredite müssen auf der Parkbank vergeben werden können – zwischen Menschen, die sich angucken, die miteinander schnacken, die sich verstehen, die sich vertrauen.“
Es geht also auch darum: Welcher Mensch steht dahinter? Ist das glaubwürdig? Ist da wirklich Power dahinter?
In Sachen Nachhaltigkeit – sind da die Unternehmen weiter als die Politik?
Ich meine: In jedem Fall. Das hat die EU-Taxonomie nochmals bestätigt. Das was wissenschaftlich vernünftig und richtig gewesen wäre, wurde runtergebrochen auf eine Marktgängigkeit, weil angenommen wurde, dass es so im Markt eher akzeptiert wird. Aber wie kann es denn bei Kenntnis der biophysikalischen Belastungsgrenzen sein, ein Steuerungselement auf dem Markt zu bringen, welches diese nicht berücksichtigt? Unternehmen wollen ja nicht nur Risiken minimieren und Resilienz erlangen, sie wollen auch Chancen realisieren, den Wandel mitgestalten und zum Teil der Lösung werden. Sie sollen darauf hoffen dürfen, dass die Politik hier entsprechende Rahmenbedingungen schafft, indem bspw. externe Effekte internalisiert werden, also True Cost Accounting (Kostenwahrheit) hergestellt wird oder es vernünftige Anreize durch eine CO2-Bepreisung gibt, bei denen nicht allein Kompensationen attraktiv bleiben. Ja, Unternehmen brauchen bessere Rahmenbedingungen und Unterstützung der Politik.
Weiterführendes:
* Stellungnahme zur EBA-Konsultation von GLS Bank & weitere Organisationen
* True Cost Accounting: Beitrag von Jan Köpper im GLS-Podcast
* Podcastbeitrag zur EU-Taxonomie im GLS-Podcast
* Website Sustainable
„Verantwortungseigentum erweitertet das Spektrum der Finanzierungsmöglichkeiten“
Maike Kauffmann, Purpose Stiftung gGmbH,
… ist dort als Project Manager Research und Think Tank gemeinsam mit einem der Gründer verantwortlich für die Themen gemeinnützige Arbeit, Verantwortungseigentum und alternative Finanzierungsinstrumente.
„In punkto innovativer Finanzierungsformen möchte ich kurz darauf eingehen, was Verantwortungseigentum bedeutet, dann wird der Bezug deutlich. Verantwortungseigentum ist eine Eigentumsform für Unternehmen, die sicherstellt, dass die Stimmrechte bei den Menschen bleiben, die mit dem Unternehmen verbunden sind. Sie – die Stimmrechte – können also nicht zum Spekulationsgut werden; gleichzeitig wird langfristig sichergestellt, dass die Gewinne und der Unternehmenswert der Aufgabe des Unternehmens dienen.
Dadurch ist eine andere Qualität des Kapitals notwendig als bei ganz klassischem Venture Capital und Private Equity. Bei klassischen Finanzierungsformen ist der Mechanismus, dass hier mit viel Geld ermöglicht wird, Macht über das Unternehmen zu erhalten. Dieser Mechanismus, dass Geld gleich Macht bedeutet, ist bei Verantwortungseigentum nicht möglich. Gleichzeitig stellt sich durch die Erhaltung des Verantwortungseigentums in Gesprächen mit den InvestorInnen die Frage: Was ist eigentlich genug? Was ist eine risikoadäquate Rendite? Welche Konditionen sind angemessen und fair für die eingegangene Beziehung, das eingegangene Risiko?“
Welche innovative Finanzierungsformen tun sich denn hier auf?
„Klassischer Weise denkt man in Sachen Finanzierung, es gäbe nur zwei Finanzierungsvarianten: Die Finanzierung über Eigenkapital (sprich: Venture Capital und Private Equity) und die Finanzierung über Fremdkapital (sprich: über Banken). Dazwischen gibt es aber eigentlich ein ganzes Spektrum an Finanzierungsinstrumenten – eigenkapitalähnliche schuldrechtliche Instrumente (auch Mezzanine-Finanzierung genannt), wie etwa atypische stille Beteiligungen Nachrangdarlehen, Genussrechte, Revenue-based Financing und viele Instrumente mehr, die derzeit noch nicht viel Beachtung finden, die aber im Mittelstand schon gang und gäbe sind – und auch im StartUp-Bereich immer häufiger benutzt werden. Instrumente, die nicht auf dem Verkauf von Anteilen basieren und nicht letztlich immer in einem Exit enden.“
Beim Leipziger Finanzforum hörten wir in einer Diskussion: „Das Kapital darf den Purpose nicht verderben.“ – Was ist deine Haltung dazu?
„Wir kennen alle die Geschichten von Unternehmen, die mit tollem Purpose gegründet wurden, die gemeinsam mit sehr motivierten UnternehmerInnen gesellschaftliche Probleme lösen wollten, die gemeinsam mit ihren MitarbeiterInnen voll für das Thema standen, die dann aber Eigenkapital aufgenommen haben – vielleicht von einem Investmentfonds, der thematisch ganz weit weg war und der dann Kontrolle über das Unternehmen bekommen hat und dann, um das Investment zurück zu bekommen, Druck auf das Unternehmen ausgeübt hat, es müsse skalieren, es müsse einen bestimmten Wert erreichen. Natürlich ist der Zweck des Unternehmens da ein wichtiger Punkt, der für das Skalieren des Unternehmens notwendig ist. Allerdings weicht die Missionorientierung bei dieser Konstellation häufig einer Shareholderorientierung, um kurzfristige Gewinnmaximierung bzw. maximale Bewertung zu erzielen. Dann wird die Mission, mit der man mal gestartet ist, aufgeweicht durch Druck der Kapitalgeber.“
Welche Unternehmen kommen denn zur Purpose Stiftung?
Ganz häufig kommen Menschen zu uns, die bereits einige Male gegründet und auch einige Exits mitgemacht haben, die aber schließlich festgestellt haben, dass das gar nicht das ist, was sie wirklich wollten. Es kommen auch UnternehmerInnen zu uns, die mit ihren StartUps gemerkt haben, dass KapitalgeberInnen eine andere Vorstellung davon haben, was ein Unternehmen ist und sein soll – und die deswegen ihre Rolle und Rechte klar differenzieren wollen. Hier stellt sich die Frage, welche alternativen Rollen die KapitalgeberInnen einnehmen können: Sind sie Mit-UnternehmerInnen, die den Purpose des Unternehmens vorantreiben, oder sind sie Ermöglicher der Finanzierung des Unternehmens? Bei vielen Finanzierungsformen wird diese Differenzierung gar nicht gemacht, und alle bekommen das gleiche Eigentum, Kontrolle und Gewinnrechte. Es wird häufig gar nicht im Detail angeschaut, in welcher Funktion und mit welchen Aktivitäten der Kapitalgeber beteiligt sein möchte, ob er überhaupt Stimmrechte mithalten, den Purpose mitgestalten möchte oder er eigentlich das Ansinnen hat, zu ermöglichen, dass ein unabhängiges, selbstbestimmtes Unternehmen in die Welt gebracht wird – und für das eingegange Risiko natürlich auch adäquate Return on Investment zu bekommen. Sicher wollen KapitalgeberInnen auch gehört werden, aber gehört zu werden ist ja auch etwas anderes, als wirklich selbst mitgestalten.
Welche Rolle spielt die EU-Taxonomie?
Für einige InvestorInnen ist das Impact-Thema in der Tat sehr wichtig, sie schauen sehr stark auf das Was und weniger auf das konkrete und kleinteilige Wie. Wir plädieren dafür, Impactkriterien nicht zu kleinteilig zu denken, denn dann fallen schnell Unternehmen durchs Raster, die die Gesellschaft positiv verändern könnten, aber sich nicht an klassischen Nachhaltigkeitskriterien messen können. Eine flexible Einzelbetrachtung sollte nach wie vor möglich bleiben.
Welche innovativen Finanzierungsformen hält die Purpose-Stiftung für besonders geeignet? Du hattest bspw. das Thema Mezzanine Capital einmal angesprochen…
In Sachen Finanzierung unter Berücksichtigung des Verantwortungseigentums kennen wir zwar bereits unterschiedliche Instrumente, die stimmrechtslos, mit gekapptem Return on Investment und ohne die Notwendigkeit eines Exits nach außen funktionieren. Unternehmen wie Wildplastic, Waschbär, Payactive und viele weitere nutzen solche Arten der Finanzierung, wie Nachrangdarlehen und stille Beteiligungen. Aber gleichzeitig sind wir auch noch in der Experimentierphase, suchen noch nach weiteren Möglichkeiten.
Es gibt auch noch Herausforderungen – etwa: Wie gehen wir mit Unternehmen um, die in einer sehr frühen Phase viel Geld brauchen, aber wünschen, dass mit ihrem Wert nicht spekuliert wird und dass die Liquidation des Investments nicht durch eine Realisierung ihrer Bewertung, also einem Exit, stattfindet? Wie können wir hier die Bedürfnisse der InvestorInnen auch nach Sicherheit abdecken? Wie gehen wir damit um, dass in einigen der Modelle wie Revenue-Based Finance bereits sehr früh Liquidität des Unternehmens abfließt, was in Wachstumsphasen schwierig sein kann? Natürlich gibt es hier schon Modelle, wie zum Beispiel Wildplastic, wo erst ein Wandeldarlehen genutzt wurde, das später in ein Nachrangdarlehen umgewandelt wurde. Es entwickeln sich hier viele spannende Optionen.
Derzeit führen wir viele sehr intensive Gespräche und versuchen das Wissen, das wir und das ganze Netzwerk in dem vergangenen sechs Jahren auf diesem Gebiet des zu Verantwortungseigentum passenden Frühphasenkapitals gesammelt haben, open source zu machen und in die Welt zu bringen.
Vor welchen Herausforderungen steht Ihr da noch?
Wie eben schon erwähnt: Es sind diese sehr frühen Cases, die Finanzierungen benötigen, aber keine Macht abgeben wollen und nicht wollen, dass mit dem Wert des Unternehmens spekuliert wird, die aber gleichzeitig viel Geld brauchen und dabei so risikoreich sind, dass es mit den herkömmlichen Instrumenten schwierig ist.
Weiterführendes:
* Purpose Stiftung
* Workbook „Verantwortungseigentum“
* Open Source Arbeitsmaterialien zum Thema „Purpose“
* Wildplastic
* Waschbär
* Payactive
Visionen
Wenn Ihr Euch innovative Finanzierungsmodelle nach Euren Wünschen zusammenstellen könntet, wie würden sie aussehen?
Tim: Wenn ich träumen könnte, gäbe es eine Prozesstechnologie, die es Unternehmen so einfach wie möglich macht, die finanzierungswürdigen Projekte auszuwählen und von den unrentablen Projekten abzugrenzen. Dann gäbe es auch weniger überzogene Renditeerwartungen, weil man ja nur die Finanzierungen eingeht, die wirklich Erfolg bringen.
Claudia: Ich habe einen sehr konkreten Traum. Ich wünsche mir, dass der Stellenwert von Sustainable Finance & Sustainability i.A. auf Management-, Vorstands- und Aufsichtsratsebene angehoben wird. Purpose ManagerInnen bzw. Chief Purpose OfficerInnen entscheiden dann über Investments und das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen. Purpose und Nachhaltigkeit im Bereich Marketing ist ganz klar eine Fehlbesetzung. Auf C-Level können Greenwashing eingedämmt bzw. abgeschafft, messbare Ergebnisse erreicht und Social Return on Investment tatsächlich eingespielt werden. “Der Traum von gestern ist die Wirklichkeit von heute und morgen.“ (Bruce Lee)
Maike: Wir brauchen eine Pluralität in Sachen Finanzierungsformen und auch in Sachen InvestorInnen. Auch andere Bezugsgrößen für Finanzierungsinstrumente und Returns, die nicht nur auf dem Unternehmenswert basieren. Auch braucht es eine pluralere staatliche Förderlandschaft.
Jan: Ich wünsche mir Finanzierungsformen, die ein Zukunftsbild in einem ganzheitlichen Ökosystem entsprechen. Man könnte also ganze Wertschöpfungskette finanzieren und gegenseitige Bürgschaften ausgeben. Aber Grundlage dafür sollten klare sozial-ökologische Zukunftsbilder sein, die zum Durchhalten anregen und einen gemeinsamen Kompass aufzeigen. Ökosystemfinanzierung anhand von gesellschaftlichen Zukunftsbildern, das wäre ein Traum!
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